Michael Dennis – Goldmedaille fest im Visier
Am 17. August geht es für die zahlreichen Athletinnen und Athleten des Team Deutschland Paralympics nach Tokio. Bei den Wettkämpfen – die vom 24.08 – 05.09 stattfinden – wird neben unserem Cheftrainer Stefan Weil und unserer Nummer 4 Amanda Dennis auch unsere Nummer 1 Michael Dennis dabei sein. Nach den Paralympics in Rio de Janeiro 2016 (6. Platz) wird „Micha“ nun seinen zweiten paralympischen Wettkampf beschreiten. Vorab konnten wir mit dem Dürener über seine bisherige Laufbahn, über das Ziel der Goalball Nationalmannschaft und einiges mehr sprechen:
SSG: Lieber Micha, es freut uns, dass Du Zeit für dieses Interview gefunden hast. Deine Laufbahn als Goalballspieler begann 2009 in unserer Blista-Halle in Marburg. Uns würde interessieren, wie Dir Dein Aufstieg Schritt für Schritt bis in die Weltspitze gelungen ist? Was waren prägende Momente und wer hat Dich auf diesem Weg am meisten begleitet und gefördert?
Micha: Meinen gesamten Weg haben die beiden Nationaltrainer Johannes Günther und Stefan Weil geprägt. Sie waren bei der SSG meine ersten Vereinstrainer und sind bis heute in der Nationalmannschaft zentral für unsere Entwicklung zuständig. Durch die beiden und viele Mitspieler konnte ich auf verschiedenen Ebenen immer mehr und mehr dazu lernen.
Als ich 2009 als übergewichtiger 16-jähriger zum ersten Mal ins Marburger Training kam habe ich gleich die Erfahrung gemacht, dass Goalball auch etwas mit Fitness zu tun hat. Das hat mir nicht den größten Spaß gemacht aber das Spielen selbst war es, was mich motiviert hat immer weiter zu machen. Mein Glück war es, dass ich in die Nationalmannschaft kam, als es einen Umbruch gab und dadurch wurde ich gleich Stammspieler als Center.
Spielpraxis und Fehler machen sind ganz wichtige Dinge im Goalball, da man viel über Erfahrung auf dem Feld regeln kann. Prägend war sicherlich das verlorene Viertelfinale in Rio (USA 7:6 Deutschland), ab da ging es für unsere talentierte Truppe nur noch bergauf aber grundsätzlich könnte ich hier noch viele andere Momente anfügen, die alle auf ihre Art und Weise einen Teil beigetragen haben bis heute.
SSG: Und nun kommen deine zweiten Paralympics. Dabei haben Deine Teamkollegen und Du die Goldmedaille als Ziel ausgerufen. Wie kam es zu diesem Entschluss als Mannschaft und wer wird deiner Meinung nach euer größter Konkurrent um diese Medaille?
Micha: Wir haben bei einem Trainingslager in Kienbaum zusammengesessen und geschaut, wo wir gerade stehen. Europameister und Vize-Weltmeister konnten wir uns nennen und hatten in den letzten Jahren immer nur gegen Brasilien verloren. Wir brauchen uns aber auch vor den Brasilianern nicht zu verstecken und wir waren uns schnell einig, dass mit dieser Mannschaft der Sprung ganz nach oben auf das Podium bei den Paralympics möglich ist, auch, wenn es ein schwerer Weg wird. Wir werden viele schwere Gegner haben, Brasilien, Titelverteidiger Litauen, die Ukraine, die USA, China als große Unbekannte. Das Feld der Kandidaten für das Podium ist lang und wir müssen in jedem Spiel unser Bestes geben.
SSG: Wie schätzt Du eure Gruppengegner ein?
Micha: Aus meiner Sicht haben wir mit der Türkei, China, der Ukraine und Belgien die nominell schwerere Gruppe erwischt. Ich bin aber froh, dass wir China als große Unbekannte in der Gruppe haben. Die anderen drei Teams kennen wir gut und können uns taktisch gut auf deren Spiel einstellen. Ich freue mich auf alle Spiele und denke, dass wir nach harten Begegnungen in der Gruppenphase mehr als bereit sein werden für die KO-Spiele.
SSG: Was macht im Vergleich zu einer Europameisterschaft oder Weltmeisterschaft den besonderen Reiz bei den Paralympics aus?
Micha: Die Paralympics sind einfach das größte Event im paralympischen Sport. Man trifft Sportlerinnen und Sportler aus anderen Nationen und komplett anderen Sportarten. Natürlich wird das dieses Jahr in Tokio alles etwas anders sein, aber gerade die Erlebnisse, die ich 2016 in Rio hatte, sind schon etwas sehr Beeindruckendes!
SSG: Du schleppst dich schon lange mit einer Verletzung durch die Vorbereitung. Wie steht es um dein Knie?
Micha: Zu Jahresbeginn habe ich eine eher nicht so schöne Diagnose bekommen, da mein Knie immer häufiger geschmerzt hat. Aber die Reha-Zeit nach der OP beträgt zehn Monate und ich möchte mit den Jungs in Tokyo Gold holen und das war mir in dem Moment wichtiger als die OP. Natürlich riskiert man da immer etwas, wenn man eine solche Entscheidung trifft und nur durch schmerzstillende Behandlungen bin ich in der Lage auf hohem Niveau zu spielen aber genau das ist auch der Punkt: wenn die Schmerzen im Griff sind bin ich nicht eingeschränkt und kann ganz normal spielen, auch, wenn es langfristig gesehen sicher nicht gut für die Gesundheit ist.
SSG: Das ZDF hat Dich nach der Europameisterschaft 2019 in Rostock als „Toni Kroos des Goalballs“ bezeichnet. Was zeichnet Dich als Spieler aus?
Micha: Ich bin ein sehr analytisch denkender Spieler. Ich versuche immer zu verfolgen und vorauszusehen, was der Gegner gerade vor hat um dann nicht nur reagieren sondern auch agieren zu können. Ich denke, dass ich viele Situationen über meine Erfahrung und Ruhe klären kann. Dazu kann ich sehr gut Punkte treffen, da ich ohne Drehung werfe. Ich glaube, dass das die primären Dinge sind, die mich auf dem Feld ausmachen.
SSG: Neben Dir wird Deine Ehefrau Amanda ebenfalls bei den US-Frauen um eine Medaille bei den Paralympics kämpfen. Wie habt ihr euch untereinander gepushed und gab es auch Challenges gegeneinander?
Micha: Nein, Challenges gegeneinander gab es nicht bei uns. Durch die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau wäre das auch kein fairer Vergleich. Aber wir haben es gut geschafft, dass wir den anderen motivieren. Sei es beim Krafttraining, dass man mehr Gewicht schafft, als gedacht oder auch auf dem Feld, weil wir uns gegenseitig Feedback geben und den jeweils anderen besser machen möchten. Bei mir kommt manchmal da etwas mehr der Trainer-Blick durch bei ihr, als anders herum aber mir macht es einfach auch Spaß, Verbesserungen anzuregen und gemeinsam zu erarbeiten.
SSG: Abschließend würde vor allem die jüngeren Goalballer unter uns interessieren, welche Tipps Du ihnen an die Hand geben kannst?
Micha: Es gibt keine generellen Tipps, die ich mit auf den Weg geben kann. Es kommt darauf an, dass man vor Ort in seinem Verein gefördert und gefordert wird und das ist extrem individuell. Was aber wichtig ist: viel spielen. Spielpraxis ist aus meiner Sicht im Goalball enorm wichtig und eventuell muss man diese sich auch mal in einer zweiten Mannschaft des eigenen Vereins holen oder mal eine Saison unterklassig spielen. Auch ich habe meine ersten zwei Deutschen Meisterschaften mit der SSG bei der Zweiten Mannschaft gespielt und konnte dort eben viel spielen und das ist manchmal wichtiger als Medaillen zu gewinnen, das kommt dann hoffentlich später in der Karriere.
SSG: Wir danken Dir für Deine Zeit, die tollen Antworten und drücken euch in Tokio ganz fest die Daumen – holt Gold nach Hause!